Dellbrügge & de Moll untersuchen Codes im Betriebssystem Kunst. Ihre Arbeitsweise ist entsprechend diskursiv und analytisch, aber auch visuell stimulierend und ästhetisch ausgefeilt. Sie zählen nicht zu den klassischen Medienkünstlern, denn sie nutzen alle verfügbaren Medien, ohne sich auf eines speziell zu konzentrieren. Ihr Interesse gilt vor allem der Theorie- und Diskursbildung sowie den Bedingungen der Kunstproduktion. Video-Theorie behandelt das System ”Video”, wie es in der Kunst reflektiert wird, und stellt in dieser Hinsicht für das Künstlerpaar bereits einen Schlusspunkt in ihrer kurzen Spanne linearer Videotapeproduktion dar.
Video-Theorie besteht aus vier Teilen, die in jeweils unterschiedlicher visueller Weise den geschlossenen Kreislauf von Werk- und Diskursproduktion thematisieren und sich der Medientheorie als Ressource künstlerischer Produktion bedienen. Dabei nutzen und zitieren sie auch das Spektrum grafischer und künstlerischer Haltungen dazu. Ein zusätzlicher Remix, ein Interview anlässlich eines Fernsehauftritts im WDR und die VideoTheorie, No Tech Version ergänzen diese komplexe Diskursproduktion. Video-Theorie ist also eine Animation, ist ein Clip, ist ein Dokument, ist eine Collage, ist ein Kommentar, ist eine Installation. Damit ist die permanente Reformatierbarkeit und Variabilität der Diskurse nicht nur konzeptuell, sondern auch physisch augenfällig.
Video-Theorie repräsentiert einen umfassenden Einsatz von damals gängiger Technologie in der Bildgestaltung wie im Schnitt. Teil 1, in Frankreich produziert, operiert mit computeranimierter Gebärdensprache und visualisiert einen Text von Beate Ermacora, der aber nur ”Eingeweihten”, das heißt in diesem Fall, Personen mit Kenntnissen der Gebärdensprache verständlich ist. Die Theorie bleibt für alle anderen eine nicht zu entziffernde Behauptung. Jede Verifizierung der Aussage würde eine unwahrscheinliche Dekodierungsanstrengung vom Betrachter verlangen. Und es stellt sich am Ende die Frage, wie viel Theorie eigentlich in zwei Minuten darzustellen ist. Eines der dabei verbürgten Statements lautet: ”Zu gering erscheint wohl für Konsumenten der Repräsentationswert, gar nicht wahren kann Video den Anspruch auf Unikatsware.” Der Verdacht kommt hier schon auf, dass es sich womöglich nicht um eine tatsächliche Theorie handelt, sondern eher um theoretische Versatzstücke, deren Erkenntnisgewinn durch die visuelle Formatierung sogar konterkariert wird. Video-Theorie 1 demonstriert damit die praktische Unmöglichkeit der Theorievermittlung.
Der zweite Teil suggeriert die Bildmächtigkeit des Mediums jenseits aller Sprache noch rasanter. Das Video ist ein typischer schneller Clip und buchstabiert die englische Übersetzung eines Textes von Dieter Daniels als Text im Bild und als Stakkato optischer Reize. ”Da Kunst aber ein soziales Ereignis ist und von Institutionen, Orten und Personen abhängt, muss den neuen Medien im Rahmen der Kunst ein Aufführungs- und Ausstellungswert zurückgegeben werden.” Zur Vermittlungsproblematik kommt hier die zweite These in der Tradition Marshall McLuhans: Die intensive ”Massage” (!) der Clips ist immer mächtiger als jeder sprachliche oder textliche Input.
Teil 3 und 4 verlangsamen das Tempo, vor allem nach dem extrem schnell geschnittenen Remix aus Bildern von Teil 2. Die bewusst monotone, einfache und in die Länge gezogene Inszenierung in Teil 3 - mit einer Widmung an John Baldessari - verarbeitet einen Text des amerikanischen Künstlers Matthew Geller als Song zur Musik eines Gitarristen und alterniert dieses simple Abbild des Spiels mit Passagen eines Schwarzbildes. Über das Fernsehen wird Geller zitiert, unter anderem mit folgendem Statement: ”lt's omnipresent, yet completely taken for granted.” (”Es ist allgegenwärtig, doch es wird niemals hinterfragt.”) Während hier die Unschärfe und die verwischten Bewegungen als Zitat eines bestimmten Videoclipstils gelten können, setzt Teil 4 schließlich einen Text des Kunsthistorikers Friedemann Malsch ins Bild, der einen vorsichtig optimistischen Ausblick liefert: ”Video wird zunehmend eine Praxis, die neben traditionelleren Medien praktiziert wird.” Wieder ist der Clip mutiert, diesmal zu einer rhythmischen Montage von Bildern aus dem Alltag.
Alle zitierten Beteiligten sind nicht als Theoretiker bekannt gewesen, haben jedoch auf signifikante Weise an der Produktion und/oder Vermittlung der Videokunst in den 1980er Jahren teil gehabt. Vermittlung ist der zutreffende Begriff für eine künstlerische Haltung, die sich den Bedingungen der Videokunst reflexiv und visuell nähern will. Doch am Ende dieser vier Teile steht die banale Erkenntnis, dass wir weit von jeder Theorie entfernt sind. Die Bedingungen zur Reflexion sind kontextuell immer Wieder neu zu verhandeln. Wie um dies zu bestätigen, liefern Dellbrügge & de Moll einen Remix, in dem die bereits kondensierte Theoriebildung gleichsam durch den Hochdruckkompressor gedreht wird. Das Interview fügt dem noch ein typisches TVFormat hinzu, kommentiert aber das schwierige Verhältnis der Künstler zum Massenmedium mit einer ironischen Montage, in der ihnen nur noch die Pause, das fragende Gesicht und das Nicht-antworten-können als Reaktion auf die TV-Maschinerie übrig bleibt. Sie setzen einen letzten Satz ins Bild, der das ganze Projekt noch einmal zusammenfasst: ”An dieser Stelle fehlt ein Video von Dellbrügge & de Moll, welches die Schwierigkeiten, Videokunst auf dem Kunstmarkt zu etablieren, thematisiert.”
Dass Theorie heute vor allem auf der Ebene des Codes funktioniert, ist von Dellbrügge & de Moll schließlich 1994 spielerisch aufgegriffen worden: ”Video-Theorie, No Tech Version ist das physische Extrakt aus den Video-Theorie-Bändern, deren Texte hier in das Printmedium und in eine kontemplative Betrachtersituation rückgeführt werden. Das Equipment - Monitor und Rekorder - werden auf der Zeichenebene mitgeliefert. Die Arbeit ist leicht zu transportieren, schnell installiert, kostengünstig und auf Interaktivität angelegt. Video-Theorie/No Tech Version thematisiert den geschlossenen Kreislauf von Werk- und Diskursproduktion und bedient sich der Medientheorie als Ressource künstlerischer Produktion .” 1)
Video-Theorie verfolgt einen dezidiert konzeptuellen Ansatz, den Dellbrügge & de Moil in vielfältiger Weise differenziert haben. Neben den Untersuchungen zur Bedingung von Kunstproduktion (Sprechen über Kunst, 1991, Kunstkonsumentenprofile, 1994, Substitut@ICA, 1996) ist ein Schwerpunkt der öffentliche Raum wie in der mobilen Installation Der Diskurs findet hier statt (1995) unter Verwendung des Theorie-Remix auf AudioCD oder die interaktive CD-ROM zum Thema Stadt Hamburg Ersatz (1997). Eine neuere Arbeit Artist Migration Berlin aus dem Jahr 2005 beschäftigt sich ebenfalls mit Fragen zu den Bedingungen von Kunst. In Form von 30 Interviews von Künstlern, die aus der ganzen Welt nach Berlin gezogen sind, erkunden sie die Topografie von künstlerischen Haltungen »im Koordinatenkreuz von Selbstorganisation, Karriere und Verarmung, Anpassung und Anspruch«, wie es in der Inhaltsangabe der Künstler heißt.
Dellbrügge & de Moll haben das Befragen anderer zu einer Kunstform erhoben, die sie aber auch immer wieder auf sich selbst anwenden. Unter welchen Bedingungen können wir als Künstler agieren und diese Aktivitäten öffentlich als Prozess ausstellen? Die Kunst, soviel ist in den 1990er Jahren spätestens klar geworden, ist ohne Theorie nicht mehr erklärbar. Die Theorie und ihre Ästhetisierung wird hier nun selbst zur Kunst erklärt. Bei Dellbrügge & de Moll geht die Kunst aber gestärkt aus dieser Spannung hervor, denn letztendlich ordnet sich die Theorie der Kunst unter: ”Solange wir ein Bewusstsein haben, fällt der Kunsttheorie die Aufgabe zu, die Kunst zu verteidigen.” 2) Auch die Video-Theorie dient daher der Video-Kunst.